Berufliche Krisen werden oft durch äußere Veränderungen ausgelöst. Der betroffene Mensch versteht die Welt nicht mehr. Und doch folgen Veränderungsprozesse einer typischen Struktur: Wie bei einer Wanderung werden verschiedene Stationen durchlaufen. Aus einer stabilen Ausgangssituation gelangt man in eine Krise. In der Bewältigung dieser Krise entwickelt man sich weiter. Diesen Prozess zu verstehen, bringt dem Betroffenen Erleichterung. Professionelle Begleitung hilft dabei, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen und den für sich richtigen Platz zu finden oder zu gestalten.
Arbeit hat in unserem Leben viele Funktionen: Sie sichert die eigene Existenz und leistet einen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft. Sie ist ein wichtiger Pfeiler der persönlichen Identität und vermittelt Zugehörigkeit zu einer Organisation oder Gruppe (vgl. Obholzer, S. 19 f.). Die Organisation und der Einzelne sind miteinander verbunden – Veränderungen in der Organisation führen oft zu Krisen des Einzelnen.
Schumann/Harss (2018) haben das Raummodell von Mayer (2016) auf berufliche Situationen übertragen. Dieses Modell ist gut dafür geeignet, den Ablauf beruflicher Krisen und Entwicklungsprozesse zu verstehen, indem es diese als Wanderung durch verschiedene Räume beschreibt:
Zunächst befindet sich der Mensch im „Dorado“. Er hat das Gefühl, am richtigen Platz zu sein: Er hat die Situation unter Kontrolle, kann seine Fähigkeiten einbringen und erhält positives Feedback der Umwelt.
Dieser angenehme Zustand wird durch eine Veränderung von außen auf den Kopf gestellt. Die betroffene Person wird unvorbereitet aus dem „Dorado“ in die „Rätselzone“ geworfen - sie versteht die Welt nicht mehr. Sie erlebt einen Schock, Angst, Verwirrung, Ratlosigkeit, fühlt sich desorientiert und verliert den Boden unter den Füßen.
Wenn sich diese erste Verwirrung gelegt hat, gelangt der Mensch ins „Provisorium“: Er richtet sich irgendwie in der neuen Situation ein. Dabei handelt es ich meist um eine instabile Notlösung. Angestrengt versucht der Mensch zu bewahren, was nicht zu bewahren ist. Er versucht vergeblich, ins untergegangene, verschlossene oder für ihn versperrte Dorado zurückzukehren. Dadurch erschöpft er seine Kräfte, er ist überfordert, die Work-Life-Balance gestört. Sein Blickfeld ist eingeschränkt, er sieht keinen Ausweg - möchte sich aber meist auch nicht helfen lassen. Statt dessen sucht er Rechtfertigungen für das eigene Handeln oder Nicht-Handeln.
Nach dieser anstrengenden Phase entsteht der Wunsch nach Rückzug – dies ist ein Hinweis darauf, dass der Mensch im „Refugium“ angekommen ist. Er fühlt sich erschöpft, möchte in Ruhe gelassen werden und sich ausruhen. Hier schöpft er Kraft, um weitergehen zu können. Mit etwas Abstand fängt der Mensch schließlich an, Fragen zu stellen und sich und seine Situation zu reflektieren. Es entsteht der Wunsch, das Geschehene zu verstehen. Der Mensch wird offen für neue Perspektiven und entwickelt erste Ideen, was in Zukunft sein sollte und was nicht. Irgendwann wird das „Refugium“ zu eng - der Mensch hat das Gefühl, auf der Stelle zu treten und ist auf der Suche nach einer neuen Perspektive. Es entsteht das Bedürfnis, zu handeln und etwas zu verändern.
Er nimmt die Zügel selbst in die Hand und bricht auf. Dazu ist erneut ein Ausflug in das Unbekannte notwendig – noch einmal muss er zurück in die Rätselzone. Diesmal ist es jedoch die eigene Entscheidung, er tritt seine Reise gestärkt und selbstbestimmt an. Der Mensch ist neugierig, motiviert und energiegeladen. Er ist offen, sucht den Austausch mit Dritten und nimmt Unterstützung an. Schrittweise nähert er sich seinem Ziel – modifiziertes Dorado oder Resonanzraum:
Vielleicht hat er im Refugium oder beim neuerlichen Aufenthalt in der Rätselzone Erkenntnisse gewonnen, die ihn verändert haben oder die ihn seine Umwelt mit neuen Augen sehen lassen. Der Mensch entwickelt sich und seine Umwelt weiter. Er schafft sich sein „Dorado 2“: Dieses enthält Elemente des alten Dorado, die sich bewährt haben – andere Elemente werden neu verhandelt oder gestaltet.
Vielleicht entscheidet er sich aber auch für einen „Resonanzraum“: Er sucht und findet einen neuen Ort, wo er mit seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen hinpasst, so wie er ist. Dort hat er das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Ohne Mühe und ohne sich ändern zu müssen ist er an diesem Ort erfolgreich und glücklich.
Ein solcher Entwicklungsprozess ist für den Betroffenen sehr fordernd und gleicht einer Wanderung. Der Wanderer selbst ist ortsunkundig und verwirrt von dem, was er erlebt. Professionelle Begleitung – vergleichbar mit einer Karte oder einem Bergführer - hilft dabei, das Erlebte zu verstehen, zu verarbeiten und den eigenen Weg bewusst zu gestalten: Mit gezielter Unterstützung lässt sich der Aufenthalt in unangenehmen Räumen wie dem „Provisorium“ kurz halten, das „Refugium“ kann optimal für Erholung und Entwicklung genutzt werden und der Betroffene erreicht schneller sein Ziel: Eine Situation, in der er zufrieden und erfolgreich ist und wo er wieder das Gefühl hat, am richtigen Platz zu sein.
Literatur:
Harss, C./Mayer, C./Schumann, K. (2017): Topografisches Coaching – von der Rätselzone zum Dorado. In: Wirschaftspsychologie aktuell 2/17, S. 44 – 47. Berlin: dpv Verlag. Mayer, C. (2016): Wie in der Psychotherapie Lösungen entstehen – Ein Prozessmodell mit Anregungen aus der Literatur- und Filmwissenschaft. Wiesbaden: Springer.
Obholzer, Anton (1997): Das Unbewusste bei der Arbeit. In: Eisenbach-Stangl, I./Ertl, M. (1997): Unbewusstes in Organisationen. Wien: Facultas.
Schumann, K./Harss, C. (2018): Einführung in das topografische Coaching. Wiesbaden: Springer.