Manuela Nigsch
Meine Learnings aus dem letzten Jahr: Demut, Dankbarkeit und Zuversicht
Aktualisiert: 17. Jan. 2022
Der 1.5.2020 war ein besonderer Tag für mich: Nach dem 1. Lockdown durfte ich erstmalig wieder im direkten Kontakt mit Menschen arbeiten. Das erste Aufatmen nach harten Wochen: Coachings, Supervisionen und Workshops waren abgesagt worden, Social Distancing hieß das Gebot der Stunde. Bis zum Lockdown hatte ich nur vereinzelt Coachings online durchgeführt. Diese liefen zwar weiter und ein paar andere Kunden probierten das virtuelle Arbeiten aus, doch der Großteil wartete den Lockdown ab und legte seinen Fokus vorerst auf andere Themen.

Es war ruhig für mich – viel zu ruhig und ich hatte Sorge um die Zukunft von WERDE.punkt. Es folgten Öffnungsschritte und ein fast normaler Sommer, bevor im Herbst wieder Einschränkungen folgten und mit ihnen immer wieder Zweifel, wie es wohl weitergehen möge.
Mit etwas Abstand lässt sich nun nach einem Jahr feststellen, dass ich noch Glück hatte: Im Gegensatz zu anderen konnte ich in den letzten Monaten durchgehend arbeiten und hatte gut zu tun. Ich bin dankbar, dass ich bisher nicht auf Förderungen zurückgreifen musste und diese Gelder jenen zur Verfügung stehen, die es härter getroffen hat. Das Arbeiten im virtuellen Raum wurde für mich und meine Kunden Teil des Alltags. Dadurch ließen sich begonnene Prozesse fortsetzen – es haben sich aber auch neue Türen geöffnet: Ich habe im vergangenen Jahr viele Einzelcoachings durchgeführt und teilweise leben die Coachees so weit weg, dass eine persönliche Begleitung gar nicht möglich gewesen wäre. Wenn das Coaching ohnehin online stattfindet, fällt die räumliche Nähe als Entscheidungskriterium weg und man kann den Coach oder Supervisor wählen, der am besten passt.
Zugenommen haben auch die Einzelcoachings, die ich im Auftrag von Unternehmen mit Mitarbeitenden oder Führungskräften durchgeführt habe. Es beeindruckt mich immer, wenn Unternehmen so weitsichtig sind, Übergänge präventiv begleiten zu lassen – und diese langfristigen Investitionen auch in schwierigeren Zeiten beibehalten. Bei einem Rollenwechsel bietet ein Coaching Raum zur Reflexion und hilft dabei, die Weichen gezielt zu stellen, sodass sowohl die betroffene Person als auch das Umfeld profitieren. Aufgefallen sind mir auch zunehmende Anfragen von Unternehmen, die erkennen, dass einzelne Mitarbeitende besonders belastet sind und ihnen eine Unterstützung in Form eines Coachings zukommen lassen. Früher habe ich in solchen Fällen zu Beginn und am Ende des Prozesses ein Telefongespräch mit den Auftraggebern im Unternehmen geführt. Doch seit Online-Meetings überall Einzug gehalten haben, findet die Einbindung der Auftraggeber meist in dieser Form statt: Es hat sich bewährt, wenn es zu Beginn des Prozesses ein Online-Meeting im erweiterten Kreis gibt, an dem neben mir und dem Coachee auch der oder die Vorgesetzte oder Vertreter der Personalentwicklung teilnehmen und das Ziel der Begleitung gemeinsam geklärt wird. So ist sichergestellt, dass das Thema ganzheitlich betrachtet wird und neben den persönlichen Aspekten auch die organisationale Perspektive berücksichtigt wird. Nach einigen Coaching-Sitzungen oder spätestens am Ende des Prozesses wird dann wieder im erweiterten Kreis die Zielerreichung überprüft, um gegebenenfalls weitere Schritte zu setzen.
Erstaunlich fand ich im letzten Jahr auch, wie wirksam Online-Workshops und -Seminare sein können. Unter der Voraussetzung, dass sich die Teilnehmenden ganz auf das Thema und den Prozess einlassen, kann sehr effektiv gearbeitet werden. Wie bei Präsenzveranstaltungen gibt es auch im virtuellen Raum vieles, was ich in meiner Rolle als Moderatorin und Trainerin dazu beitragen kann – und was es in den letzten Monaten zu lernen und zu erfahren galt. Ich habe beispielsweise erkannt, dass eine ausgeklügelte Vorbereitung und die Nutzung von Kollaborationstools bei Online-Workshops zwar aufwendig aber absolut sinnvoll sind und dass es sich lohnt, mit den Teilnehmenden spezielle Spielregeln für den virtuellen Raum zu vereinbaren. Ich durfte aber auch feststellen, dass die Nachbereitung und die Erstellung des Protokolls nach einer Online-Veranstaltung viel leichter und schneller gehen als nach einer Präsenzveranstaltung. Was den Inhalt und das sachliche Ergebnis solcher Maßnahmen angeht, bin ich positiv überrascht. Meiner Erfahrung nach kann es im virtuellen Raum mit Hilfe geeigneter Interventionen auch gelingen, emotionale Wärme und Verbindung in der Gesamtgruppe herzustellen. Doch nach wie vor fehlen mir der direkte und persönliche Kontakt mit den Menschen, die Pausengespräche und das, was auf der Beziehungsebene zwischen Einzelpersonen läuft. Und nach wie vor merke ich, dass mich das Sitzen oder Stehen vor dem Computer und die Stunden vor dem Bildschirm mehr anstrengen als das persönliche Arbeiten mit einer Gruppe. Insofern bin ich froh über die neuen Möglichkeiten und die virtuellen Tools, doch ich schätze es sehr, dass zunehmend wieder Präsenzveranstaltungen stattfinden.
Im letzten Jahr durfte ich darüber hinaus noch eine besondere Erfahrung machen: Ich habe an einer Mediationsausbildung teilgenommen, die online durchgeführt wurde. Die vermittelten Inhalte und Kompetenzen haben meine Beratungstätigkeit sehr bereichert. Ich habe gelernt, Konflikte in Organisationen als Symptome zu sehen, die auf Probleme in der Organisation hinweisen und die Chancen zu nutzen, die in diesen Konflikten stecken. Aus diesem Grund freue ich mich, nun Konfliktcoaching und Mediation anbieten zu können – online und offline.
Besonders schön ist die Tatsache, dass meine Kunden und ich gelernt haben, flexibel auf die jeweilige Situation zu reagieren und anzunehmen, was man nicht ändern kann: Coachings, Workshops, Seminare und Team-Supervisionen werden im Hinblick auf Termin, Ziel und Inhalt fix eingeplant, die Art der Durchführung wird kurzfristig entschieden. Es ist klar, dass wir zusammenarbeiten, ob online oder präsent hängt von der Situation ab. Wo vor einem Jahr Sorge um die Zukunft von WERDEpunkt war, ist jetzt ganz viel Dankbarkeit und Zuversicht. Und die Gewissheit, dass ich Dinge gelernt habe, die mir niemand mehr nehmen kann und die sich in Zukunft als unglaublich wertvoll erweisen werden.

Wird schon WERDEn!